Hans-Christian Danker im Interview mit Kumar Swamy
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Ein Blick ins heutige Indien: Ein Kind gefangen in Zwangsarbeit |
Kumar Swamy
ist Koordinator des Dalit Freedom Network (DFN) in Indien, einem
internationalen Netzwerk, das sich für die Rechte der rund 250 Millionen Dalits
in Indien einsetzt. Viele der „Unberührbaren“ werden heute noch diskriminiert,
ausgestoßen, misshandelt und versklavt. Swamy ist auch Generalsekretär des All
India Christian Council, das sich vor allem um verfolgte Christen in Indien
kümmert. Im Rahmen des zweijährlichen internationalen Treffens des DFN in
Berlin stand er Hans-Christian Danker, Referent für das Projekt „Indien:
Freiheit“ bei Geschenke der Hoffnung e.V., für ein Interview zu Verfügung. Eine
Lebensgeschichte, die einem die aktuelle Situation in Indien vor Augen führt,
verstehen lässt und bewegt.
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Kumar Swamy im Interview mit Hans-Christian Danker |
Danker: Als Kind
haben Sie am eigenen Leib erfahren, was es heißt als Dalit in Indien
aufzuwachsen. Was geschah damals?
Swamy: Ich
erinnere mich daran, dass meine Mutter immer zu uns gesagt hat, dass wir
unberührbare, dreckige Menschen sind. Manchmal sagte sie sogar: „Wir sind
Untermenschen, wir sind nicht wirklich menschlich.“ Ich lebte mit einem
ständigen Gefühl der Minderwertigkeit. In diesem Wissen wuchs ich in meiner
Familie auf, bis zu einem Tag, an den ich mich noch immer gut erinnere. Ich war
elf Jahre alt und spielte mit meinen Freunden Cricket. Da war ein Junge, der zu
einer hohen Kaste gehörte. Während
des Spiels rannte ich versehentlich in diesen Jungen und berührte ihn. Er wurde
sehr wütend und sagte, dass ich nicht das Recht dazu habe. Er schrie mich an:
„Du dreckiger Dalit-Hund!“ Ich war sehr aufgebracht. Ich hatte den
Cricketschläger noch immer in der Hand und ehe ich mich versah, schlug ich dem
Jungen damit auf den Kopf. Er war verletzt und blutete. In kürzester Zeit
verbreitete sich diese Nachricht im Dorf. Hunderte Freunde und Verwandte des
Jungen kamen aus dem Nichts. Sie forderten eine Strafe für dieses
schwerwiegende Verbrechen. Sie erlegten meiner Familie und mir auf, sofort
unsere Sachen zu packen und das Dorf innerhalb der nächsten 24 Stunden zu
verlassen.
Danker: Wie
beeinflusste dieses Ereignis Ihr Leben und das Ihrer Familie?
Swamy: Für uns
als Familie und mich persönlich war dies verheerend. Meine Familie musste unser
Zuhause sofort verlassen, ansonsten hätten sie uns getötet, vermutlich bei
lebendigem Leib verbrannt. Dies hinterließ eine tiefe Wunde in meinem Herzen.
Ich dachte daran, mich umzubringen, weil ich nicht mehr als Dalit oder
Unberührbarer bezeichnet werden wollte. Ich war depressiv. Das sind sehr
bittere Erinnerungen an meine Kindheit, die mich noch immer erzittern lassen.
Danker: Wie ging
es für Sie weiter und wie sind Sie letztendlich zum Glauben gekommen?
Swamy: Viele
Jahre lebte ich mit einer Depression und Selbstmordgedanken. Das änderte sich,
als ich 17 Jahre alt war und meinen älteren Bruder eines Tages traf. Er kam mit
einem strahlenden Lachen auf dem Gesicht nach Hause. Und er sagte: „Kumar, all
unser Leiden und unser Schicksal als Dalit sind vorbei!“ Und ich sagte: „Wie
ist das möglich? Was ist passiert?“ Mein Bruder erzählte mir, dass er auf der
Straße eine Gruppe junger Leute getroffen hat, die dort fröhliche Lieder
gesungen haben. Er blieb stehen und hörte ihnen zu. Sie sprachen über Jesus
Christus. Am Ende kniete mein Bruder nieder und entschied sich für ein Leben
mit Jesus. Die jungen Leute gaben ihm als Geschenk ein schwarzes Buch und er
brachte dieses Buch mit nach Hause. Er öffnete es auf der ersten Seite und
zeigte mir eine wunderbare Botschaft: Ich bin nach dem Ebenbild Gottes
geschaffen worden! Ich habe noch nie eine so wunderbare Nachricht in meinem
Leben gehört. Ich war doch ein dreckiger Hund, unberührbar und jetzt sagt
dieses Buch – die Bibel – dass ich nach Gottes Ebenbild erschaffen wurde! Ich
sagte zu meinem Bruder: „Ich will diesen Gott!“ Und so führte mein Bruder mich
zu Jesus Christus, dem Gott der Christen. Ich bin so froh, dass ich heute ein
Kind Gottes bin, kein Unberührbarerer mehr, kein Untermensch.
Danker: Wie sind
Sie zu der Arbeit gekommen, die Sie heute ausüben?
Swamy: Sobald ich
diese gute Nachricht gehört hatte, wollte ich sie mit allen meinen Freunden,
Dorfbewohnern und Verwandten teilen. Also begann ich damit, allen von meiner Umkehr zu
erzählen. Von dieser wundervollen Nachricht, die ich sehen durfte. Von dieser
Hoffnung, die von Gott kommt, durch die Zusage, dass Gott mich liebt. Darum bin
ich nun Teil des DFN, um diese befreiende Nachricht den Dalits heute weiterzugeben.
Danker: Wie würden
Sie die aktuelle Situation der Dalits beschreiben? Werden sie noch immer
diskriminiert?
Swamy: Leider
besteht das Kastensystem in unserem Land noch immer. Dalits sind dazu verdammt,
diskriminiert und entmenschlicht zu werden. Diese Diskriminierung erfahren 250
Millionen Dalits jeden Tag in unserem Land. Das ist eine grobe Verletzung von
Menschenrechten. Das ist moderne Sklaverei. Moderne Apartheid, wenn man so
will. Noch heute ist es in abgelegenen Teilen Indiens, in den Dörfern, den
Dalits nicht erlaubt Wasser aus dem Brunnen zu holen. In manchen indischen
Dörfern dürfen Dalits zu bestimmten Tageszeiten nicht auf die Straße, weil ihr
Schatten versehentlich auf jemanden einer höheren Kaste fallen und ihn dadurch
verschmutzen könnte. Dieser müsste sich dann sofort Zuhause reinigen und ein
Bad nehmen.
Danker: Sie sind
der Koordinator des DFN in Indien. Wie ist es zur Gründung der Organisation
gekommen?
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Das Schulgebäude der Good Shepherd School in Jeedimetla |
Swamy: Im Jahr
2001 luden wir etwa 800 Leiter von Dalit Gemeinschaften nach Hyderabad im Süden
Indiens ein. Wir verbrachten zwei Tage mit Beratung und gemeinsamen Überlegungen.
Am Ende der Konferenz fragten wir die führenden Dalits: „Was möchtet ihr von
uns als Christen? Was braucht eure Gemeinschaft?“ Die Antwort lautete wie aus
einem Mund: „Bitte bildet unsere Kinder. Wir leben als Sklaven. Aber wir wollen
nicht, dass unsere Kinder, die nächste Generation, ohne Bildung zugrunde geht.“
Gott legte uns diese wundervolle Mission ans Herz, die Dalit Kinder zu
unterrichten. Bis heute hat das DFN 107 Schulen in Indien eingerichtet, die Dalit
Kindern die Möglichkeit bieten, zur Schule zu gehen. Bildung ist Bevollmächtigung
und dies wiederum führt zur Emanzipation und Freiheit der Dalit Kinder.
Danker: Was tun
Sie über die Schulbildung hinaus, um die Würde und Freiheit von Dalits
wiederherzustellen?
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Nähunterricht für Dalit-Frauen |
Swamy: Oft sind die
Dalits dazu verdammt all die niederen, dreckigen Arbeiten zu verrichten, wie
z.B. Toiletten zu reinigen. Es gibt eine schockierend große Zahl von zwei
Millionen Dalits im heutigen Indien, die dazu gezwungen werden, menschliche
Exkremente mit ihren bloßen Händen zu entsorgen. Wir nennen das „manuelle
Latrinenreinigung“. Daher ist der Bedarf an würdevoller Arbeit groß. Dafür
setzen wir uns ein, besonders für die Frauen. Wir bringen ihnen Fachkenntnisse
bei, sodass sie eines Tages auf eigenen Beinen stehen können und eine Arbeit in
Würde verrichten können. Weiterhin verfolgen wir eine medizinische Mission, die
sich an die gesundheitlichen Gegebenheiten der Dalit- Gemeinschaft richtet.
Weil sie unberührbar und arm sind, können sie es sich nicht leisten zu einem
Arzt, der zu einer höheren Kaste gehört, zu gehen. Wir richten deshalb
regelmäßige medizinische Gesundheitszentren für die Dalit-Familien ein.
Danker: Welche
Veränderungen konnten Sie in den Dalit-Gemeinschaften bereits beobachten?
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Dalit-Schulkinder in Thimmajipet |
Swamy: Durch die
Bildung werden die Kinder ermutigt. Sie lernen nicht nur, dass Gott sie liebt
und sie nach Gottes Bild erschaffen wurden. Mit Selbstachtung, Selbstbewusstsein
und guten Englischkenntnissen machen sie einen Schulabschluss an unseren
Schulen und gehen in die Städte, um z.B. einen Job bei einer IT-Firma zu
bekommen. Wir sehen ebenso viele Frauen, die durch die erworbenen Kenntnisse
gute Jobs in Unternehmen bekommen, was vorher nicht der Fall war. Wir sehen,
wie sich langsam aber sicher die Gemeinschaften in den verschiedenen Dörfern
verändern. Zudem gibt es eine positive Entwicklung im Kampf gegen Tempelprostitution.
Viele Dalit-Mädchen werden dazu ausgewählt im Tempel als Prostituierte zu
arbeiten. Die Jüngsten unter ihnen sind erst acht Jahre alt. Wir haben hier
bereits viel erreichen können, um dieses schreckliche System zu stoppen. Und
wir haben die Möglichkeit, die Mädchen stattdessen zu unterrichten und in
Kinderheimen unterzubringen, wo eine bessere Zukunft auf sie wartet.
Danker: Welche
Rolle spielt der christliche Glaube in der Arbeit des DFN?
Swamy: Die
christliche Botschaft ist entscheidend für unsere Mission und Organisation.
Denn nur der Gott der Christen sagt von sich selbst, dass er der Gott der
Gleichheit ist. Er erschuf die Menschen alle gleichwertig, das
ist eine Kernbotschaft der Bibel. Und es ist ein Segen für die Dalits, wenn sie
hören, dass sie nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden. Diese Aussage des Christentums ist sehr
wichtig und befreiend für die Dalits in Indien.
Danker: Können Sie
Informationen über die aktuelle Situation der Christen in Indien heute mit uns
teilen? Vor welchen Problemen stehen sie?
Swamy: Es gibt
eine andauernde, strategische Verfolgung in Indien. In verschiedenen Teilen des
Landes gibt es Anschläge auf Kirchen und Angriffe auf Christen. Im
letzten Jahr wurden drei unserer Pastoren ermordet. Das liegt vor allem daran,
dass viele Christen aus einem Dalit-Hintergrund kommen. Sie waren einmal
Dalits, aber sind nun Christen geworden. Das hat offensichtlich zu großem Ärger
unter einigen Menschen geführt, die nun laufend die Christen in unserem Land
angreifen.
Danker: Was können
wir hierzulande für die Dalits und andere Unterdrückte in Indien tun?
Swamy: Sie können
viel tun. Zum einen geht es darum ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was in
diesen Tagen in Indien geschieht und dass es diese große Gruppe von Dalits
gibt, die noch immer diskriminiert wird. Zum Zweiten bitte ich um Gebet.
Besonders für die verfolgten Christen sowie die Dalit-Christen Indiens.
Drittens bitte ich um Gebet für die Bildung der Dalit-Kinder, da diese so essenziell
wichtig ist. Wir haben Schulen, aber die Kinder brauchen Paten, damit die
Bildung ihnen Freiheit ermöglicht. Daher bitte ich Sie, eine Patenschaft für
ein Dalit-Kind zu übernehmen. Es kostet 25 € im Monat. Damit befreien Sie ein
Dalit-Kind fürs Leben. Sie können ihm die Würde, die Gott gegebene Würde,
geben, indem sie es mit 25 € im Monat unterstützen. Das ist mein Aufruf an die
deutschsprachigen Christen und die uns wohlgesinnten Menschen dieser Welt.
Trotz der
verfassungsmäßigen Gleichheit gibt es bis heute Millionen von Menschen in
Indien, die aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit oder Herkunft diskriminiert,
bedroht und ausgebeutet werden. Doch Vieles ist auch im Aufbruch und positive
Veränderungen werden sichtbar. Mit dem Projekt „Indien: Freiheit“ unterstützt
Geschenke der Hoffnung die Arbeit der Good Shepherd Schools in Indien, die aus
der Arbeit von Kumar Swamy und des DFN entstanden ist. Werden auch Sie Teil
dieser großen Bewegung, die den Dalits ein Leben in Freiheit und Würde
ermöglicht. Alle Informationen über unsere Arbeit in Indien finden Sie unter http://bit.ly/IndienFreiheit.