Mittwoch, 22. Januar 2014

Wenn ein Lebenstraum zerbricht




Viele Menschen leben in Zelten und notdürftigen Behausungen
Meine Sitznachbarin auf dem Flug von Cebu nach Tacloban ist Marcella. Sie ist verheiratet und hat eine 13-jährige Tochter. Sie wohnt offiziell in der Nähe von Tacloban, ist aber eine von den jährlich 100.000 Menschen aus den Philippinen, die in einer der reichen Länder arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. Allzu oft kostet dieser materielle Gewinn jedoch den Preis emotionaler  Nähe zu Partner und Kindern. Viele träumen davon, mit dem überwiesenen Geld zumindest die unzulängliche Wohnsituation für die zurückgebliebenen Familienangehörigen zu verbessern oder zu vergrößern. Durch den Taifun Hayan wurde auch so mancher dieser Lebensträume zerstört.

Die Zerstörung ist schon aus der Luft zu sehen
Wie die meisten im Ausland arbeitenden Philippiner ist auch Marcella bestenfalls alle ein oder zwei Jahre in der Lage, ihre Familie zu besuchen. Sie arbeitet als Hausangestellte für einen „deutschen Boss“, wie sie sagt, zuerst in den Golfstaaten und nun im Nordosten der USA. Seit dem verheerenden Taifun vor zwei Monaten war sie noch nicht zu Hause. Keiner ihrer Familienangehörigen ist zu Schaden gekommen, nur eben Haus und Besitz. Nun hat sie eine Woche Sonderurlaub und freut sich auf ihre Familie. Gemeinsam schauen wir beim Landeanflug aus dem Fenster; sie kann ihre große Bestürzung über das Ausmaß der Zerstörung nicht verbergen, das selbst aus der Luft zu erkennen ist. Als ich mit ihr über das Engagement von Samaritan’s Purse und die Unterstützung von Geschenke der Hoffnung spreche, wenden sich uns mehrere Menschen in den Nachbarsitzen zu. Während wir aussteigen schütteln mir einige dieser Sitznachbarn die Hand, danken für das Engagement und bieten ihre Hilfe bei Transport und Orientierung in Tacloban an. Bei Marcella überwiegen gemischte Gefühle: das Entsetzen über die Zerstörung und die Freude über das Wiedersehen mit ihrer Familie. Als ich mich von Marcella verabschiede, kann sie ihre Emotionen kaum zurückhalten.

 Die Verwüstung ist immernoch allgegenwärtig
Eine Familie mit Hygienepaketen und Wasserkanistern
Das Flughafengebäude ist stark beschädigt und das Gepäckband außer Betrieb, weil zerstört. In Cebu regnete es, in Tacloban schüttet es in Strömen, unaufhörlich, den ganzen Tag. Es ist zwar nichts Ungewöhnliches für die Regenzeit, aber inzwischen stehen viele Gebiete unter Wasser, auch einige Straßen und kleinere Brücken, die wir passieren. Doch weit mehr als der heftige Regen ist es die Wucht der allgegenwärtigen, unübersehbaren Verwüstung, die verstört und verwirrt. Schon die Fahrt vom Flughafen in die Stadt reicht eigentlich, um einen Eindruck von dem zu bekommen, was sich in den nächsten Tagen an vielen anderen Stellen bestätigt. An vielen Orten im Stadtgebiet, wie in solchen Situationen üblich, gibt es Ansammlungen von Zelten größerer Hilfsorganisationen, die hier ihre jeweiligen Hauptquartiere aufgeschlagen haben. Samaritan’s Purse hat einige Räume in einem kleinen Hotel gemietet und gleich am Anfang dem Hotelbetreiber einen Generator zur Verfügung gestellt, der mit dem ersten Transport angeliefert wurde. Das diente beiden Parteien, lange bevor die öffentliche  Energieversorgung wieder gewährleistet war.
Dieses Frachtschiff wurde durch die heftigen Wellen an Land gespült
Die Straßen sind zwar inzwischen zum allergrößten Teil wieder frei von Schutt und Abfall, doch direkt daneben sieht es oft noch aus wie auf einem Schlachtfeld! Eingestürzte Gebäude, demolierte Fahrzeuge, umgeknickte Strom- und Laternenmasten, verschlungene Strom- und Telefonkabel; an der Straße zur Insel Samara kommen wir an einem Frachtschiff vorbei, das von der Kraft der Wellen und des Turmes bis fast auf die Straße katapultiert wurde. Die Feststellung, dass die Aufräumarbeiten noch lange dauern werden, wäre nur banal. An verschiedenen Stellen findet „Mülltrennung“ statt, um wiederverwertbare Materialien zu gewinnen. Selbst für einen dürftigen Wiederaufbau sind ja kaum Materialien vorhanden. Heute appellierte der Gesundheitsminister noch einmal daran, die Aufräumarbeiten doch schnellstmöglich abzuschließen. Der heftige Regen fördert in diesem Zusammenhang  die Ausbreitung von Krankheiten, doch möchte niemand über mögliche Epidemien  reden. Das Gesundheitsministerium dankte allen medizinischen Helfern die mit den Hilfsorganisationen in das Katastrophengebiet kamen und kündigte an, mit einmonatiger Übergangsfrist bis Ende des Monats die Versorgung wieder durch philippinisches medizinisches Personal sicherstellen zu wollen.

Neue Brunnen zur Trinkwassergewinnung
Doch generelle Entwarnung kann es scheinbar noch nicht geben, weil an vielen Orten die Trinkwasserversorgung und zufriedenstellende sanitäre und hygienische Verhältnisse noch nicht gewährleistet sind. Als Ersthilfe hat Samaritan’s Purse mehrere Wasseraufbereitungsanlagen für besonders betroffene Gebiete installiert. Doch inzwischen haben Probebohrungen ergeben, dass der Grundwasserspiegel sehr hoch und die Wasserqualität ausgezeichnet ist. Nun wird Brunnenbohrung und –bau in den Gebieten gefördert, wo die Trinkwasserversorgung nicht gewährleistet ist.

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