Freitag, 16. Oktober 2015

Die Not hat sich nicht verändert …



Ein Kommentar von Tobias-Benjamin Ottmar, Leiter Öffentlichkeitsarbeit von Geschenke der Hoffnung

Seit Wochen beherrscht die Flüchtlingskrise in Westeuropa die Nachrichten. Es gibt kaum eine Institution, die nicht dazu aufruft, sich für die Flüchtlinge hierzulande zu engagieren. Auch im christlichen Bereich ermutigen Werke und Organisationen ihre Mitglieder, aktiv zu werden. Die überbordende Hilfsbereitschaft treibt merkwürdige Stilblüten: An vielen Orten gibt es zu viele Sachspenden. In Dortmund riefen Feuerwehr und Verbände vor kurzem dazu auf, keine Sachspenden mehr abzugeben. In München, Fürth oder Nordtirol wurden Spender ebenso abgewiesen, in Duisburg ein Teil der gespendeten Kleider gar weggeworfen. Manch einer sortiert seinen Kleiderschrank oder Keller aus, ohne auf Qualität oder Brauchbarkeit zu achten. Ehrenamtliche Mitarbeiter finden sich immer öfter in der Rolle des Müllentsorgers wieder, auch bei „Weihnachten im Schuhkarton“ kommt das leider noch (zu) oft vor. (Ein Grund, warum bei dieser Aktion nur neue Dinge erlaubt sind.) Die Frage, die man sich als Spender stellen sollte, lautet nicht „Was kann weg?“, sondern „Was können Flüchtlinge gebrauchen?“ .

Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen: Die Not der Menschen hat sich nicht verändert – sie hat sich lediglich verlagert: Von den Flüchtlingslagern der Nachbarländer Syriens zu uns. Und wenn man ehrlich ist, muss man auch feststellen: Wenn für Länder wie Deutschland oder Österreich mit insgesamt über 90 Mio. Einwohnern und einer jährlichen Wirtschaftsleistung von über drei Billionen Euro (3.000 Milliarden (!)) der Zuzug von ca. ein bis zwei Millionen Flüchtlingen eine Herausforderung darstellt, was sollen dann erst direkte Anliegerstaaten von Syrien sagen? In Jordanien kommt auf zehn Einheimische ein Flüchtling, im Libanon beträgt das Verhältnis sogar sechs zu eins.

In den letzten Wochen haben insbesondere die Deutschen bewiesen, dass es ihnen ein Anliegen ist, Flüchtlinge in ihrer Not mit helfenden Händen und viel Engagement zu begegnen.  Es ist ein Zeichen von Mitgefühl und Humanität, dass diese Chance genutzt wird, den zu uns kommenden Menschen mit Nächstenliebe zu begegnen. Gerade für Christen gibt es zu diesem Verhalten keine Alternative. Gleichzeitig sehen wir die Begrenzungen. Selbst in Deutschland müssen einige der Schutzbedürftigen in nicht ausreichend beheizten Zelten ausharren (die überwiegende Mehrheit der Migranten hat jedoch eine feste Unterkunft!). Viele Hilfsorganisationen bemühen sich darum, Defizite auszugleichen und ringen flächendeckend nach Lösungen. Auch die Verpflegung der Flüchtlinge ist in Deutschland und Österreich beispiellos. In anderen Ländern – vor allem auf der Balkanroute – mangelt es dagegen an Existenziellem. Deshalb engagiert sich Geschenke der Hoffnung mit seinen Partnern an den Brennpunkten der Flüchtlingsroute wie Griechenland, Kroatien oder Serbien. (Mehr dazu hier.)
Gemeinsam mit unserem Partner "Samaritan's Purse" unterstützen wir Flüchtlinge in ihrer Notsituation - hier in Kroatien.


Es geht nicht darum, das eigene Gewissen zu beruhigen

Ich habe die Sorge, dass wir vor lauter Angst vor der Zukunft uns einigeln und nur die Herausforderungen in unserer eigenen Umgebung sehen. Ich habe die Sorge, dass Spendengelder lediglich umgeschichtet werden und wichtige Projekte in anderen Ländern darunter leiden – und letztendlich die Menschen, die davon profitieren sollen. Ich habe die Sorge, dass man nach dem Aussortieren des Kleiderschranks sein Gewissen zu schnell beruhigt. Dabei ist nicht materielle Hilfe hierzulande das Wichtigste, sondern Ideelle. Will heißen: Migranten brauchen Personen, die sich Zeit nehmen und sie auf dem Weg in diese Kultur und Gesellschaft begleiten. Das erfordert mehr zeitlichen Aufwand – und eine echte, dauerhafte Hingabe. Und wir brauchen den Mut diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Asylgrund haben, auf menschenwürdige Weise schnellstmöglichst in ihre Heimat zurückzubringen.

In Deutschland liegt die Spendenquote bei etwa 30 Prozent (West: 34,5 %, Ost: 27,4 %). Im Umkehrschluss: Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung spenden nicht – weder für Tiere, Menschen noch an einen Sportverein oder Kultur. Es gibt also viel Potenzial. Schön wäre es, wenn die aktuelle Situation dazu beiträgt, dass gerade diese Menschen aufwachen und mitmachen – schließlich gibt es vielfältige Möglichkeiten, die nicht immer ein großes finanzielles Polster voraussetzen. Und dass die, die sich bereits sozial engagieren, neben ihrem lokalen Engagement auch weiterhin treu die globalen Projekte unterstützen, in denen es mitunter ums nackte Überleben geht. Denn seien wir ehrlich: Bei über 5,2 Billionen Euro auf der „hohen Kante“ – die nicht nur den Superreichen gehören – haben wir noch mächtig Spielraum.

Daher sollte die Frage „Helfe ich lokal oder global“ nicht mit „Entweder-Oder“ beantwortet werden, sondern mit einem leidenschaftlichen „Sowohl als auch“.

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